Montag, 9. November 2015

Von Feindbildern und Veränderungen ... .

Dieses Wochenende war ein wenig seltsam.

Ich bin derzeit ein wenig nachdenklich und denke mir immer, wieso haben wir nur so viele Feindbilder? Es begann alles damit, dass sich gerade in den letzten Wochen viele "MS - Anfänger" in den Foren der sozialen Netzwerke meldeten und Rat suchten.

Verständlich, wenn du so ne Diagnose erhälst, fährt das Leben irgendwie erst mal an die Wand und nichts ist mehr so wie es mal war. Und ich weiß, wie es mir ging, 2005, damals als das Fräulein Trulla mich gegen die Wand donnerte und das Letzte, was ich damals gebraucht hätte, wäre etwas da gewesen, dann militante Mitpatienten, die mir dieses oder jenes Ding einreden wollen.


Ich meine, man kommt an, verunsichert, total neben der Spur, man weiß doch überhaupt nicht was das ist und hofft auf eine Mischung aus verdaulichen Informationen, Zuspruch und Mutmachern, die einem in diesen wirklich schwierigen Zeiten helfen und was macht mancher geneigte Mitpatient?

Du musst ne Basistherapie starten. Jetzt. - Bitte immer feste druff, ne? Die arme Sau braucht gleich mal eine ordentliche Abreibung, weil die MS böse ist und bekämpft werden muss. Deshalb ist man auch extrem unfreundlich, schreibt im Befehlston und damit basta.

Was anderes kommt da nicht. Hallo? Wie soll bitte ein neuer Patient, der gerade mal eben so aus der Diagnosephase kommt wissen, was a) ne Basistherapie ist wenn er b) noch nicht mal MS richtig einsortieren kann?

In so einem Fall braucht man doch wirklich erst einmal Grundwissen, Unterstützung und nicht die Kopfnuss oder?

Später ging es weiter, in einer anderen Gruppe, von der ich eigentlich meinte, dass sie verständnisvoller ist, sanfter, angenehmer, fragte ich nach der Militanz und wieso wir sie brauchen. Es ist so eine Menge Frust und Hass auf alles Mögliche in diesen Foren und ich schrieb dann später woanders, dass ich das nicht bin.

Eine Weile wars verständnisvoll und dann brach es auch dort durch, die Suche nach dem Feindbild. Im Laufe des Tages erklärte mir jemand (DANKE!), dass man eben Feindbilder braucht, um den Tag zu strukturieren und sich selbst in ein besseres Licht zu rücken. Machen kannste eh nichts, einen Schuldigen brauchts also bastelt man sich einen. oder so. Gut, eine Meinung von vielen, aber sie brachte mich ins Grübeln.

Klappts mit der MS nicht, hauen wir woanders drauf? Dann ist der bestochene Doktor schuld, der Gesetzgeber oder was weiß ich? Brauchen wir das?

Meine Antwort: Nein. Eindeutig.

Ich finde, Feindbilder zu haben in einem gewissen Maße ja ganz nett. Ich habe auch das eine oder andere, aber sie sind nie so mächtig, als dass ich ständig drauf rumkaue. Mache ich mit Kaugummi auch nicht, irgendwann wird es schal und langweilig.
Und: Ich gebe diesen Dingen keine Macht über mich. Weil mir die Energie, die dafür draufgeht, dieses Feindbild zu verherrlichen und von mir abzulenken, schlicht zu schade ist.
Ich bin in der Beziehung achtsam, schaue auf mich und auf das, was mir wichtig ist. Meine Energie, der Spaß im Leben und darauf, sie in Veränderung zu investieren, die mir gut bekommt und  positiv wirkt. Auf mich, mein Umfeld und mein Leben. Und ja, Veränderung ist nicht immer einfach. Sie ist mühsam, verlangt zunächst einige Energie, aber am Ende hat sich dieses Investment gelohnt. Und, so meine Erfahrung mehr als ewig währende Feindbildpflege.

Ich kam also zu dem Schluss, dass ich mir das Leben mit dem Nachlaufen eines Feindbildes und dem damit oft verbundenen unqualifizierten Absondern von nicht richtigen oder vollständigen Rückschlüssen, Gedanken und Vorurteilen richtig mies machen kann. Oder dass meine Energie dafür verwenden kann, mir eine richtige Meinung zuzulegen, Lösungen zu finden und mir selbst damit eine veränderte und positivere Perspektive verschaffe, die das Leben leichter macht.

Wir wissen: Feindbilder wird es immer geben. Aber Veränderungen auch.
Wahrscheinlich wird uns die Veränderung am Ende mehr bringen, sie ist eine Fortbewegung und schlägt oft genug Richtungen ein, die wir erst einmal nicht so im Auge hatten, die aber spannend ohne Ende sein können. Sie verändert Perspektiven und lässt uns auf die Dinge aufmerksam werden, die oft wertvoller sind als man denken würde. Feindbild, gut gepflegt hingegen sagt mir Stillstand. Verharren. Totale Fokus auf eins und kein Umschauen auf anderes. Ein verschlossener und festgefahrener Karren, der bewegungsunfähig auf der Stelle steht.

Am Mittwoch werde ich als Keynote Speaker bei der Veranstaltung "smart meets safe" - Digitale Verbindungen im Gesundheitswesen sprechen. Ich werde dort darüber reden, warum digitale Gesundheitslösungen für Patienten oft eine gute Hilfe sein können und ich werde dem einen oder anderen, von vielen gepflegten Feindbildern persönlich ins Gesicht schauen. :-)

Als ich meine Rede und die damit verbundene Präsentation vorbereitet habe, dachte ich darüber nach, wie Regierung, Patienten, Krankenkassen und Pharmaindustrie übereinander denken. Und ich stellte fest, dass wir alle wohl oft genug das gepflegte Feindbild des anderen sind. Ein anderer, weiterführender Gedanke war: Das bringt uns nichts.
Wir müssen aus unseren Silos herauskommen und dafür sorgen, dass wir mehr voneinander wissen. Ich sorge für mich selbst dafür, dass ich mich bilde, hinter die Kulissen schaue und eben mehr über den anderen da drüben lerne, damit ich bei solchen Diskussionen und Veranstaltungen eben anders argumentieren  und klar eine Position beziehen kann, die kompetent und sachlich bleibt.

Das geht aber nicht, wenn wir im Feindbildmodus blind um uns schlagen. Das geht nur, wenn wir mit offenem Geist an den Tisch kommen und gemeinsam Lösungen finden, die für alle gut sind.
Wer weiß denn schon, wie der andere denkt, wenn er nie in den Dialog geht, nie das Wort ergreift, fragt und versucht, einen Blick hinter die Kulissen von verschiedenen Themen zu werfen?

Und ich glaube an den Dialog, die Diskussion und den Austausch. Weil das Feindbild nur eines bringt, nämlich Negativität auf ganzer Linie und die bringt uns nicht weiter. Die macht uns verbissen, verhärmt unseren Geist und sorgt letztlich dafür, dass nichts passiert.

Mein Wort zum Montag!

Liebe Grüße
Birgit


2 Kommentare:

  1. Hallo Birgit,

    cooler Blog! Und interessanter Artikel.

    Das mit den Feindbildern innerhalb von Betroffenengruppen kenne ich nur zu gut. Insbesondere in irgendwelchen Facebookgruppen muss man aufpassen nicht selbst "unter die Räder" zu geraten. Gerade, wenn man von Eigenverantwortung und einer positiven Lebenseinstellung überzeugt ist.

    Achso, ich selbst hab Narkolepsie, das ist eine chronische Schlafkrankheit, und blogge auch zu dem Thema auf meiner Webseite ( http://wach-und-erfolgreich.de/ ).

    Was mir sonst noch einfällt: manchmal ist es auch gut Beziehungen und Gruppen zu verlassen, wenn dort wirklich nur destruktive und negative Kommunikation stattfindet.


    Alles Gute & Herzliche Grüße,
    Michael

    AntwortenLöschen
  2. Hallo Michael, es tut mir leid, wenn ich erst jetzt antworte, aber ich war ein bisschen im Stress. :-) Danke für dein Lob, ich gebe mir alle Mühe. Ich stimme dir absolut zu, man muss auf FB und den anderen Netzwerken schon aufpassen, dass man nicht überrollt wird. Und ja, manchmal muss man einfach weg. Von Menschen oder Gruppen, wenn es einem selbst nicht gut geht damit und die Negativität alles andere überschattet. Obwohl ich mir manchmal schon denke, dass es doch eigentlich total neben der Spur ist, wenn Patienten sich gegenseitig anmachen oder? Na gut! Deine Website ist sehr informativ, danke für den Tipp. Alles Gute und liebe Grüße! Birgit

    AntwortenLöschen