Ich bin, was meine privaten Aktivitäten hier und in Social Media betrifft, gerade was ruhiger. Das hat einen Grund, ich brauchte einen halb radikalen Weg, ein bisschen Ruhe zu kriegen. Denn ich war zu chaotisch. Zu durcheinander für klare Gedanken.
Was in dieser meinen, kleinen Welt passiert und was in dieser großen Welt passiert, ist manchmal einfach zu viel. Zu schräg. Zu radikal. Daher hier die Warnung, es könnte auch hier jetzt sarkastisch ironisch bis radikal werden. Und vielleicht überspanne ich an der einen oder anderen Stelle den Bogen oder übertreibe ein bisschen, weil mit mir mein Kopfkino durchgeht.
Aber genau das ist es. Es ist viel. Auszuhalten, einzustecken und damit klar zu kommen. Noch nie hat sich diese Welt gefühlt so rasant verändert wie im Moment. Also kommt jetzt ein genauso schräger Erguss dazu. ;-)
Vor einigen Tagen merkte ich, dass es mir ein bisschen geht wie im ersten Lock-Down. Auch da wurde es mir einfach zu viel. Damals hatten wir Covid, das war ein brennendes Problem, jetzt scheint mir, es brennt die ganze Welt.
Da rennen sich irgendwelche Egoisten die Köpfe ein, andere flippen sichtbar aus, schicken im wahrsten Sinne brandgefährliche Botschaften durch die Welt, parlieren mit Stammtischparolen in einer Vulgärsprache, die ihresgleichen noch suchen muss, unsachlich ohne Ende ist und dennoch unkritisch von anderen nur allein zwecks markiger Worte begrüßt wird. Ich mein, denkt noch jemand auch mal kritisch und informiert? Wieder anderen sollten über ihre morgendliche Tablettenauswahl nachdenken und vielleicht die Marke wechseln oder auf Entzug gehen, um dafür zu sorgen, dass wir nicht endgültig abschmieren, nur weil sie ihren Egotrip fahren. So kommt es mir zumindest vor.
Wieder andere haben verlernt zuzuhören, sie reden im Dauerbetrieb und mancher erscheint mir wie einer dieser Haustürvertreter aus meiner Kindheit, der bei der Oma in der Küche stand und unheimlich viel unnützen Kram zu unheimlich hohen Preisen verscheuern wollte. Dinge, die keiner brauchte. Wenigstens bekam man als Kind noch einen Lutscher. Heute kriegt man nur mehr Geschrei und wieder gekäute Argumente, die so oft gesagt wurden, dass man meinen könnte, es reicht. Tut es aber nicht.
Vor einigen Tagen war ich kurz davor, großflächig auszuflippen. Gepflegt die Meinung als Kirsche auf irgendwelche argumentativ kruden Torten zu klatschen und selbiges Backwerk mit Vollgas denen ins Gesicht zu klatschen, die es meiner Meinung nach verdient hätten. In meinem Kopf hat es geholfen. Es hat mich amüsiert, diesen Film in Zeitlupe durch mein inneres Kino zu schicken. Für einen Moment ....
Dieser Moment war definitiv zu kurz. Sie fehlen, die leichten Momente. Allen. Das kann man beobachten. Die Welt leicht zu nehmen ist aber auch grad irgendwie nicht möglich. Es passiert zu viel. Und dieses Übermaß gilt es zu verarbeiten.
Ich habe das Gefühl, dass ich zwei Möglichkeiten hatte. Ich hätte anfangen können, trübselig, kitschige bis frustrierte und um sich selbst und nur um die MS kreisende Posts abzusetzen. Schwarz - weiß, frustriert bis dramatisch im Ton und es als Aufklärung und laut werden zu bezeichnen. Ein Paket, das mir entschieden zu oft diesen mahnenden Zeigefinger ausfährt und moralisch wird, um nur zu deutlich zu zeigen, wie fies die Welt sein kann. Ja verdammt, kann sie. Auch ich erlebe Stigma. Fast täglich.
Aber nur anzumahnen und verlangen oder eine Erwartungshaltung zu präsentieren ist auch kein Weg. Das muss anders passieren. Kann es auch. Komm ich gleich drauf. Die andere Alternative wäre gewesen, alles schön zu reden. Bunt, weil wir bunt sind. Oder so. Ehrlich gesagt, ich will nicht dauernd um die MS kreisen, dafür ist mir das Leben tatsächlich zu kostbar, weil es ja auch noch andere Sachen gibt, die man unbedingt, meiner Meinung nach, ansehen muss. Und ich will auch nicht schön reden, weil es gerade nicht schön ist. Also im Großen und Ganzen.
Um auch meinen kreativ chaotischen Gedankengang zu stoppen, musste ich einen Moment eine Parkbucht finden. Und das ist für mich, die gerne mal überholt und Gas gibt, so eine Sache. Eine Herausforderung sondersgleichen. Weil in dem Moment auch Stillstand und Reflexion angesagt ist. Ab und an braucht es die Ruhe, die Stille, den Raum, um nachzudenken, das, was da auf einen einprasselt zu sortieren und die Dinge mit Abstand zu betrachten.
Anfänglich ist mir das schwer gefallen und ich musste mir tatsächlich eine intensive Stricktherapie verordnen, stellte mein Leseprogramm um und habe anstatt der üblichen Fachliteratur die Kitschromane ausgepackt. Und ich habe alte Rituale ausgegraben, die mir auch im Lockdown geholfen haben. Mein Nachrichtenkonsum hat sich deutlich reduziert. Es reicht, was ich mitkriege und interessiert mich ein Thema, kann ich dazu recherchieren und mich weiter informieren. Immer aber mit kritischer Denke, die kann ich zuschalten und die sorgt dafür, dass die Dinge in einer maßvollen Abwägung gedacht werden.
Ich habe angefangen, mir Strickprojekte mit Mustern zu suchen, sie sind nicht nur mechanisches Abarbeiten, sie brauchen Aufmerksamkeit und die Liebe zum Detail, das Hinschauen und näher betrachten. Besonders wenn ein Umschlag falsch platziert ist und man zurückmuss. Diese Arbeit weist mich auf Fehler hin, die ich mache, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, der moralisch winkend aus der Versenkung auftaucht. Wir nähern uns jetzt dem, was ich oben schon hatte, merkt Ihrs?
Es ist der sanfte Zug in eine andere Richtung, ein neuer Gedanke, der dazu verhilft, die Denkrichtung zu verändern. Nicht radikal, obwohl einem mehr nach Radikalität wäre, sondern sanft nachdrücklich. Er lädt ein nachzudenken. Im Fall vom Stricken dazu, ob man vielleicht nicht doch nochmal einen Schritt, sprich eine Reihe zurückgeht, den Fehler korrigiert und dann wieder weitermacht. In einer anderen Variante und Arbeitsweise. Damit das, was man ausdrücken will, und glaubt mir, so ein Muster kann einem viel erzählen, wenn man zuhört, es beobachtet und mit ihm spricht und aus den gewonnenen Erkenntnissen eine neue Taktik entwickelt, die besser hilft, wirksam ist.
Diese Betrachtung verhalf mir wieder in eine bessere Richtung. Ich zählte Maschen, Umschläge und parkte an einem schattig sonnigen Platz, Kopfkino hier!, hatte meine karierte Picknickdecke ausgebreitet und betrachtete die Welt von einer anderen Position. Eine, die mir den inneren Frieden verschaffte, den ich brauche, um darüber nachzudenken, was anders gehen könnte.
Es gab diesen Moment, an dem ich mich hinterfragte und radikal ehrlich wurde. Mit mir selbst und mir auch selbst erklärte: Bauer, diese MS Aufklärung geht so nicht mehr. Aus der sauermoralischen Zeigefingermethode gereicht an Kitsch und garniert mit Lautwerden ist ein Gemenge geworden, das keiner mehr mag. Es ist wie glatt rechts zu stricken. Das ist wie Maschine und es kann passieren, dass es einem verdammt langweilig wird. Und wenn einem verdammt langweilig wird, biegt man ab. Dorthin, wo es kreativer, aufklärender und frischer ist.
Ich überdachte mich, betrachtete den mir zugehörenden schwarzen Humor, mochte meinen Sarkasmus und ehrlich, auch das Frotzeln und musste an der einen oder anderen Stelle auch mit dem Kopf schütteln. Der Wust in meinem Kopf begann sich zu lösen. Das löst sicher nicht die Weltprobleme, die uns täglich konfrontieren und die uns alle ordentlich überfordern, die es zu meistern gilt.
Es ist längst unser aller Aufgabe, Dinge anzupacken und ich bin überzeugt davon, dass wir eine Zeit erleben, in der wir gesamtgesellschaftlich miteinander anpacken müssen, das, was wir erleben kann keiner alleine schaffen.Jeder kann etwas tun. Darauf kam ich mit der Autorin Florence Gaub, deren Buch ich gerade lese. In ihrem Buch "Zukunft - Eine Bedienungsanleitung" beschreibt sie, dass wir alle Zukunft sind und sie täglich beeinflussen. Oft unbewusst, aber dennoch tun wir es. Wenn wir alle also unsere Zukunft in der Hand haben, so ganz selbst, ist es doch auch an uns, dieses Stück Zukunft, das wir quasi betreuen und wachsen lassen dürfen, gut behandeln. Welch Herausforderung! Dachte ich anfänglich. Aber auch welche Chance!
Und dann dachte ich darüber nach, wie man Bewusstsein und Aufmerksamkeit erzeugen kann, in dieser Zukunft, die wir alle mitgehalten sollen und ja, müssen. Und es war mir für einen Moment echt zu groß. So XXXXXXXXXL. Bis 3XL komme ich klar aber mit soviel? Nicht einfach, aber wenn man es betrachtet ist es nur ein kleines Rücken, ein bisschen hinterfragen, um am Ende festzustellen, dass der moralische Zeigefinger sowas von ausgedient hat. Den Typen kann man, gerade was Aufklärung in Sachen Erkrankung betrifft, echt sowas von in die Tonne treten.
Das war eine erste Erkenntnis und ich habs getan. Ich trat den moralisch ausfahrbaren Zeigefinger in die Tonne und seine ganzen anderen Kumpels hinterher. Dann trat ich noch der vermeintlichen Stigmavermeidungsmoral in ihre Kehrseite und schubste sie aus der Türe. Ich glaube wirklich, je mehr wir drauf herum trampeln, desto weniger wird die Botschaft gehört. Eine Botschaft, die an sich ganz einfach ist:
Lasst uns, die wir mit chronischen Erkrankungen leben, doch unser Leben leben und stellt uns nicht in Frage.
Dass wir alle nicht ganz einfach sind, so von Zeit zu Zeit, ist klar. Das liegt aber nicht an uns, das liegt an den Erkrankungen, den Trullas dieser Welt. Dann kam mir der nächste radikale Gedanke: Es interessiert mich nicht mehr, schon lange, ob mir jemand ins Gesicht sagt, dass ich für MS zu gut aussehe oder derlei Schmarrn. Sollen sie es doch sagen. Wenn es ihnen besser geht? Das sage ich denen auch teilweise. Oder ich komme mit der Aussage: Du siehst auch zu gut aus für den Schmarrn, den du gerade verzapfst. Und dann gehe ich. Ist radikal. Kann aber helfen. Weil es zum Denken anregt. Zumindest einige. ;-)
Ich glaube sogar, dass man die einfach links liegen lassen muss. Weil sie sich nie ändern werden. Oder sich nie darüber Gedanken machen, was sie so rauslassen. Ihnen also mit dem Moralischen zu kommen, wird nichts helfen, das geht rechts rein und läuft links ungehört wieder raus.
Vielmehr ist es doch interessanter, sachlich zu bleiben, zuzuhören und nachzufragen, woher diese Denke kommt und sie dann zu zerlegen. Seit ich meine LMAA Haltung dazu habe, ist es einfacher. Ich sortiere aus, worüber ich mich noch ärgere. Und ich behalte meinen Frust teilweise für mich oder bespreche ihn mit jemand aus meinem nahen Umfeld, frustriere aber die, die sich auch mit mir beschäftigen nicht mehr als es sein muss. Warum auch? Muss ich andere immer mit diesen Botschaften belästigen, die sie ohnehin kennen und verstehen? Ich glaube nicht. Aufklärung muss dorthin, wo sie gebraucht wird. Nicht dort, wo sie noch mehr schlechte Luft produziert. Das braucht nämlich auch keiner.
Ich habe genau in dem Moment meine Zukunft geändert, habe sie ein bisschen radikalisiert, wo sie mir zu nachgiebig, zu fluffig war und habe sie dort fluffiger gemacht, wo ich sie gerne ein wenig kuscheliger hätte. Seit ich leise bin, höre ich mich wieder. Seit ich meinen Gedanken folge, kommt wieder etwas aus mir heraus, das optimistisch ist. Vorsichtig optimistisch, aber eben positiver. Das tut mir gut. Und meiner Seele. Und auch das Fräulein Trulla fängt langsam an, sich wieder einzukriegen. Denn auch sie war gestresst, was wiederum mich gestresst hat und wenn wir gestresst sind, ist das nicht gut.
Meine rechte Hand macht weniger Tippfehler. Meine Gedanken sind immer noch nicht ganz sortiert, aber ich habe eine große Tonne mit Müll vor die Türe gestellt. Ich habe das moralisch mahnende Gedöns inklusive sämtlicher Kumpels identifiziert und ihnen erklärt, dass sie nicht in mein Muster passen.
Und ich scrolle über alles das, was mich runterzieht oder mir entschieden zuviel Frust auf dem Smartphone entgegen schleudert. So einfach. Ich hätte nicht gedacht, dass es geht, geht aber wirklich und verhilft einem zu der Balance, die wir alle jetzt brauchen, um neue Wege zu gehen. Die Zukunft wirkt derzeit nicht unbedingt verheißungsvoll oder positiv. Ganz im Gegenteil, aber ich glaube auch, das hab ich mir von Frau Gaub mitgenommen, wir können etwas tun. Aber wir müssen dafür die eingefahrenen Bahnen verlassen, radikal werden ohne jemandem zu schaden, wohl gemerkt!, aber uns erlauben, neue Gebiete zu erkunden, Dinge zu tun, die unbequem sind und aufhören uns darüber zu beklagen, dass uns die Algorithmen dieser Welt abwerten oder sonst was fürchterlich ungerecht ist.
Eine ältere Dame, die bis heute mein Vorbild ist, sagte mir auf einer Veranstaltung vor Jahren schon, dass ich, wenn ich was ändern will, das auch kann, aber geschenkt kriegen tut man das nicht. Man muss was für tun. Und genau dort bin ich jetzt.
Ich werde etwas tun. Mir überlegen, wie Aufklärung aussehen muss, um die Aufmerksamkeit zu bekommen, die nötig ist. Dieser Blogpost könnte ein Anfang sein. Denn genau hier findet er den Frieden, den er am Anfang nicht hatte. Er, ich war aufgewühlt und wir haben uns gemeinsam aus der Frustwelle herausgeschrieben. Buchstabe für Buchstabe.
Wenn ich das hier so betrachte, ja, es ist lang. Ja, es ist chaotisch. Aber es findet eine Richtung. Am Ende. Und so gesehen, ich habe mich mal ausgekotzt.
Es war nötig. Um den nächsten Schritt zu gehen. Um sich klar darüber zu werden was jetzt kommen könnte oder muss.
Birgit
Bild von Garik Barseghyan auf Pixabay
Bilder Strickzeug und Buch: Birgit Bauer
Text: Birgit Bauer
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