Donnerstag, 26. November 2020

An MS stirbt man nicht - über gute Recherche, Schlagzeilen und grobe Schnitzer in der yellow press!


So gesehen, ich habe schon vor Wochen die Schlagzeile gelesen und ich wollte mir das, was jetzt kommt, eigentlich sparen, aber nachdem die Community sich weiter aufregt, schreibe ich es mir von der Seele. Ich bin nämlich immer noch stinksauer. 

Ihr habt es sicherlich gehört: Im Sommerhaus der Stars von RTL kam auf, dass eine der Teilnehmerinnen wohl einen Verdacht auf MS hat. 

Dass man daraus eine fette Schlagzeile machen kann, ist klar. Das ist ein Skandal der besonders dramatischen Art und zieht wohl jeden Klatschjunkie an. Es schreit ja gerade danach, ein bisschen auf die Tränendrüse zu drücken, das bringt Zuspruch, Klicks und Shares. Es geht nicht um Fakten. Es geht um Klicks, Shares und das mögliche Zerfließen. Dafür ist dieses Genre berüchtigt. Und es geht auch schnell, ein bisschen kreatives Wortschubsen und schon wird aus einer an sich traurigen Nachricht der Oberburner. Kann ich auch. Aber: ob man dabei eine ganze Gruppe von Menschen, die bereits mit der Erkrankung leben und glücklicherweise nicht daran gestorben sind, in eine ziemlich miese Position bringt, interessiert keinen. Warum auch? Sensibles oder aufmerksames Handeln ist völlig überbewertet. 

Es handelt sich um eine bekannte Person und die hat eine Erkrankung oder den Verdacht darauf. Und damit es richtig reinhaut, hat man bei echo24, einem Medium aus Baden- Württemberg, eine echte Todesnachricht gebastelt, die da lautet: "Sommerhaus der Start - Teilnehmerin bekommt tödliche Diagnose - es ist wohl Multiple Sklerose". Erwähnte Dame wolle Mut machen, steht da. https://www.echo24.de/people/sommerhaus-der-stars-rtl-diana-herold-diagnose-toedlich-koeln-tv-ms-zr-90090527.html

Die Schlagzeile habe ich anders in Erinnerung, sie wurde wohl schon etwas verändert. Was Sinn macht, mittlerweile bläst dem Blättchen der Wind eisig ins Gesicht, das kann man in Social Media durchaus beobachten. 

Klar, so eine Schlagzeile gibt echt was her, was Besucherzahlen betrifft ist das ein Volltreffer. Dass sie natürlich von weiteren Medien und Blättern wahrgenommen und geteilt wird ist klar, das bringt Besucher, Klicks und es gibt Menschen, die sich in solchen Nachrichten freudig wälzen, hat es doch einen so called Promi erwischt, wo es einem doch gerade nicht so gut geht oder weil man eben gerne auf Klatsch abfährt. Und am Ende will ja jeder sein Stück vom Kuchen. So gesehen, in Zeiten wie diesen ist der Gossip ein gutes Ding. Er lenkt ab und zieht an. Ich gebe zu, ich vermisse die Klatschblätter beim Friseur, nehme aber Abstand von derlei Dramanachrichten, die umprofessionell zusammen gezimmert und ohne Recherche in Umlauf gebracht werden. Journalismus ist ein hartes Geschäft und so nimmt man alles, was man kriegen kann. 

Eine ordentliche Recherche? Hey, das braucht es nicht. Recherche, so scheint es, ist überbewertet. Und ein wenig Wissen zu vermitteln ist schließlich nicht Sache der Klatschpresse, heißt es und ich frage mal: Wirklich? Könnte man Klatsch nicht sinnvoller nutzen? So rein theoretisch. Man hätte die Schlagzeile auch dafür nutzen können, über MS zu berichten. Das ginge, so gesehen auch in der Klatschpresse und damit hätte man wenigstens etwas Sinnvolles getan. 

Die Reporterin, die sich diese reißerisch aufgemachte Geschichte da so ausgedacht hat, hat offenbar auch die Fakten nicht unter die Lupe genommen. Etwas, wo es mir, die selbst Journalistin ist, die Haare aufstellt.  Aber klar, eine Todesnachricht ist schon was Gutes. Das bringt Quote. Und die Chefredaktion kann wirklich ausnehmen stolz auf diese Schlagzeile sein, die Aufmerksamkeit ist gesichert. Auch jetzt. Aber man hat auch nicht fertig gedacht. 

Warum? Zum einen stimmen die Fakten nicht. Sie hätte man leicht prüfen können, die Seiten der DMSG sind öffentlich, man hätte auch Neurologen fragen können, es soll auch welche in BaWü geben. Oder man hätte mal einfach google nutzen können, um festzustellen, dass MS an sich erst mal nicht tödlich ist. Ein Akt, der nur wenige Momente dauert, der weder zeitintensiv, noch besonders aufwendig ist. 

Wer schon mal die Diagnose MS bekommen hat, oder selbst nur unter Verdacht stand, an MS erkrankt zu sein, der weiß, wovon ich rede. Über MS gibt es unzählige Vorurteile oder Falschannahmen. Egal ob man hört, dass MS mit ner Diät heilbar ist, was nicht der Fall ist, bis hin zur Behauptung, dass man sofort im Rolli landet. Auch mir ging es so. Damals 2005. Als mir der Neurologe im Krankenhaus mehr oder wenig sensibel reingedrückt hat, dass mein Fräulein Trulla wohl für den Rest meines Lebens bleiben wird. Das ist Chaos, das ist Verwirrtheit, Trauer, Ärger, Depression. Das ist Unsicherheit, tausende Fragen und eine Belastung, die schlimmer nicht sein könnte. Da platzen Träume, es zerreißt Pläne und für einen Moment explodiert dein Leben. 

Dann kommt so ein Blättchen um die Ecke und knallt dir die Schlagzeile vor die Nase. Krass super würde ich sagen. Nur weil da ein Sternchen unter Verdacht steht, an MS erkrankt zu sein und weil's so schön ist, sich in diesem Drama zu suhlen, weil MS ja tödlich ist, sagt man erst mal, weil das so krass toll ist. Das bringts halt voll, kann ich total verstehen. Nicht. 

Und hey, was solls, diejenigen, die gerade erst die Diagnose bekommen haben, interessieren einen Scheiß. Die haben das Dingsda auch, aber hey, die sind nicht im Sommerhaus der Stars, sie sind keine Sternchen und bekannt sind die nicht. Weil es so schön ist, teilen weitere, größere Blättchen, die ich für ein wenig schlauer gehalten hätte, weiter weil die Schlagzeile quasi für einen Moment zum Selbstläufer wird, das Leben der Redaktion einfacher macht. Ich sag ja, Quote. Und unreflektiertes Teilen ist ja so piep einfach. Ein Klick genügt. 

Alles andere wird ja hoffnungslos überbewertet. Bitte. Kann man so machen. Aber es ist unprofessionell und nicht besonders hilfreich für die  252 000 Menschen, die in Deutschland mit MS leben. Es verunsichert und ganz ehrlich, für das Bewusstsein für das viele Blogger wie ich und viele andere sehr gute Kolleginnen und Kollegen in Sachen MS kämpfen, tut es auch nix. 

Ganz im Gegenteil. Der Schaden, den eine solche Schlagzeile anrichtet ist vielschichtig und nur schwer wieder ins richtige Licht zu rücken. Das dürfen wir dann. Wir Blogger, wir Influencer, die Patientenorganisationen und alle aktiven Menschen, die für ein besseres Verständnis in Sachen MS vollen Einsatz bringen. Meist ehrenamtlich und in der Zeit, in der wir uns vielleicht auch erholen sollten. Aber wir wissen um die Nöte, weil wir unsere Communities haben und ihnen zuhören. Und weil wir selbst mit der Autoimmunerkrankung leben. 


So eine Schlagzeile ist ein riesiger Schaden für die Community und besonders für die, die eben noch am Anfang des Lebens mit MS stehen oder sich mit dem Verdacht auseinandersetzen müssen. Die, die noch ohne Informationen sind und das glauben, was da rüde zusammen gekleistert wurde. Sie sind diejenigen, deren Ängste geschürt und befeuert werden, die, die am Ende in einer Depression landen und nicht weiter wissen. Aber was sind wir schon. Gegen eine lausige und schmierige Schlagzeile, die skandalheischend und unreflektiert verbreitet wird. 

Zur Info, so wenige sind wir nämlich nicht:


Diese Zahlen, die Menschen dahinter, sie sollten es wert sein, reflektiert und mit vernünftiger Recherche zu arbeiten und Fakten zu bringen, anstatt über gehaltlose und unwahre Informationen zu sprechen und die per Schlagzeile in die Welt hinaus zu schreien und sich über die zu freuen, die wirklich jeden Scheiß glauben und ihn weiter teilen.

Wie wäre es also mit Fakten anstatt eine Runde schwurbeln? Soll glaubwürdiger machen. Rein theoretisch. 

Übrigens, ich hatte die Dame, die den Artikel verfasst hat, schon vor einer Weile angetwittert und nach den Quellen gefragt. Geantwortet hat sie bedauerlicherweise nicht. 

Bitte teilt gerne weiter, gebt Feedback und helft mit, dass die, die da draussen noch im Ungewissen leben, sich nicht so arg beeindrucken lassen, sondern selbst losziehen und nach Fakten fragen, sich erkundigen und informieren. Weil gegen diese umprofessionelle Berichterstattung können wir nicht viel tun, das wird's immer geben. Aber wir können dafür sorgen, dass sich diejenigen, die neu diagnostiziert sind oder noch dem Verdacht nachgehen müssen, bessere Informationen kriegen. Mut machen, geht nämlich definitiv anders. 

Birgit 


Infografik: Birgit Bauer mit Canva 
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay 
Bild von momosmiles auf Pixabay

2 Kommentare:

  1. Ein ganz toller Artikel und professionelle Stellungnahme! Man sieht wie viel Ahnung du von deinem Beruf hast und ihn zu 100 % lebst.
    Aufklärung ist so wichtig und du hast sicher heute einigen Mut gemacht.
    Ich bin immer noch echt sauer dass die Dame weiter postet so locker flockig, ohne sich Gedanken zu machen, was sie anderen angetan hat. Und die Presse schieb ich gleich hinterher. Nur an Zahlen, Auflagen und Geld interessiert, denn man hätte die Geschichte auch seriös und wahrheitsgemäß schreiben können.
    Danke Birgit.
    Liebe Grüße Caro

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    1. Danke für dein Lob liebe Caro! Es freut mich sehr. Und ja, ich stimme dir zu, das, was die Lady da treibt, bringt nur Unruhe in die Sache und verunsichert viele Menschen mit MS. Abgesehen davon, dass die Denke über uns die wir mit MS leben, extrem leidet. Aber was solls, Klicks sind oberste Priorität. Dabei könnte man selbige Klicks auch echt anders erreichen. In dem man mal das Thema anders aufgreift. Liebe Grüße, Birgit

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