Dienstag, 7. März 2023

Über Schübe, MS und ein bisschen Demut

Die letzten Wochen waren alles andere als einfach. Sie waren schwierig, belastend und haben mich ab und an so ein bisschen an meine Grenzen befördert. 

Ich könnte natürlich über das MS Elend schreiben, die körperlichen, ziemlich heftigen Auswirkungen, mit denen ich derzeit noch so konfrontiert bin und an deren Verbesserung ich arbeite. Ich könnte auch, wie oft und gerne von vielen Menschen in Social Media gezeigt, diese Videos drehen, zeigen, wie mies mein Gang ist und in denen ich mit Rehleinblick täglich verkünde wie gemein das Leben  zu mir ist. Oder manche Menschen. Ich könnte mich über den Neid der anderen beklagen, die mir mit Vorurteilen, dummen Annahmen oder entsprechenden Kommentaren das Leben "schwer" machen. Das wäre für viele angenehm. Es wäre schön für die Komfortzonenkuschler, wäre ich eine bequeme "Patientin". Eine, die sich vom Fräulein Trulla oder mit ihr auf dem Sofa festklebt. 

Aber hey, sorry, so viel Kleber gibt es weltweit nicht und ich bin dafür nicht gebaut.



Genauso wenig wie für die von mir liebevoll als "Rehleinblicknummer" bezeichnete Strategie über MS zu sprechen. Das ist die Nummer, in der man immer wieder Posts und Videos mit Menschen sieht, die diesen mitleidsheischenden Rehleinblick mit zitternder Unterlippe  gut können und ihre Inhalte mit ein bisschen Augenpipi in die Community fließen lassen. Lachen sieht man sie nie. Leider. Sie nennen das Aufklärung. Tragen aber nur im Repeatmode ihre ewig plätschernden Klagen vor ohne eine Quelle, eine Statistik oder auch nachvollziehbare Fakten zu nennen. Das verwirrt mich, wenn ich ehrlich bin. Und ich stelle mir die Frage, was das jetzt bringen soll. In Zeiten wie diesen? In Zeiten, in denen Menschen alles verlieren, kein warmes Dach über dem Kopf haben und hungern. Mit oder ohne chronischen Erkrankungen. 

So gesehen und realistisch aus einer recht angenehmen Situation betrachtet: Es könnte echt schlimmer sein. 

Als ich in den ersten Tagen des Schubs war, so vor ca. 4 Wochen, war ich verwirrt. Ich war 8 Jahre ohne. Das war lang und hey, cool. Ich war immer mal wieder mit Symptomen unterwegs, aber nie mit so einer heftigen Nummer wie eben jetzt. Alleine das Zurückkommen kostet mich mehr Kraft als bisher und ist eine echte Prüfung. Es bringt mich immer wieder aus der Fassung. Aber ich lasse nicht nach. Ich will mein Leben zurück. Und ich arbeite mich vor. Weil ich es so nicht akzeptieren werde. 

Vor einigen Tagen saß ich mit Herzblatt bei unserem Lieblingsgriechen und zwischen Ouzo und Gyros gerieten wir ins philosophieren. 

Und da war es wieder, das Wort, das mich seit Tagen beschäftigt: Demut. 

Schaut man sich den Begriff Demut genauer an, könnte einem zuerst ein bisschen gruseln. Es bedeutet die Bereitschaft zu dienen, sich zu unterwerfen. Mal stark zusammen gefasst. Es kommt aus dem Althochdeutschen. Demut bedeutet auch eine Form der eher stillen Liebe, des in sich selbst Ruhens. 

Wer in sich selbst ruht, ist mit sich im Reinen und kann und wird den Mut haben, das auch zu leben. Man muss sich nicht aufblasen und nach vorne spielen, um etwas zu erreichen oder die Menschen dazu zu zwingen, hinzuschauen, weil klar ist, sie werden es dann nicht tun. Manchmal geht das auch mit dem Mut zu sich selbst zu stehen. Genauso wie man ist.


Demut besteht nicht darin, sich geringer als die anderen zu fühlen, sondern sich von der Anmaßung der eigenen Wichtigkeit zu befreien.

MATTHIEU RICARD


Und dann auch noch dankbar sein ... und ein bisschen mutig ... 

Dankbar zu sein für das was ich habe und auch damit zufrieden zu sein ist für mich wichtig. Es bedeutet Mut zu haben, für mich einzustehen mit Argumenten oder auch mit Stille. Weil es auch mutig ist, nichts zu sagen, wenn andere schreien. Aber wenn alles gesagt ist, warum nochmal? Dann lieber einen Moment warten und dann los, wenn sich der Rest eingekriegt hat. Ist weniger anstrengend. Auch etwas, was man lernen kann und muss und wenn andere heiser werden, habe ich eine Stimme. 

Unser Grieche brachte es auf den Punkt: Wir haben ein Haus, es ist warm, wir haben Arbeit und ich habe genug, damit ich leben kann. Die Kinder sind zufrieden und gesund und unsere Familie ist in Sicherheit. Wir müssen den anderen helfen und immer wieder daran denken, was uns das Leben schenkt. Und das ist viel im Gegensatz zu dem, was viele andere haben.

Es ist: Zufriedenheit 

Er sagte das im Hinblick auf die Situation in dieser Welt, die geschüttelt ist von Naturkatastrophen, Kriegen, Krisen und so viel mehr Dingen die so aus der Balance sind. Und er sprach das aus, was ich mir nach den ersten Tagen Schub, in denen ich mir erlaubt habe, mich ein wenig im Selbstmitleid zu suhlen, dachte. 

"Auch wenn ich einen Schub habe, der mir gerade nicht erlaubt zu hopsen oder zu gehen, der mir vorgibt, mit gesenktem Blick zu gehen, damit ich 2 cm Hürden, die sich anfühlten wie ganze Klettersteige nicht übersehe und auf das Gesicht knalle, es geht mir dennoch gut."

Ich saß und sitze in einem heilen Haus und habe ein Plätzchen, wo ich es mir gemütlich machen kann. Ich habe genug zu essen und zu trinken und kann zur Ruhe zu kommen. Es gab und gibt keinen Grund für Gejammer, auch wenn ich mich nicht so wirklich gut fühlte. Wer würde nicht hadern? 

Weil optimal zu dem Zeitpunkt anders war. Und trotzdem: Habe ich es nötig zu jammern und die Welt wiederholt auf meine ungerechte Lebenslage hinzuweisen?

Nur weil da drei Neider sind und einige andere, die halt einfach blöd daherreden und unter #butyoudontlooksick fallen? Dummheit ist auch nicht sichtbar. 

Klar nervt das, es verletzt. Die Frage ist aber, ob ich mir das alles ans schwankende Bein binden und in die Welt jammern muss und was das dann für mich tut. Außer mich zu frustrieren. 

Von Demut zu ner neuen Perspektive

Aus der Kombination von Demut und Dankbarkeit entsteht Balance und damit ein Perspektivenwechsel, der jetzt auch keine einfache Sache ist, jep. Aber genau diese Perspektive hilft das zu sehen, was da ist. Schaut man genau hin, stellt man fest, so wenig ist es jetzt auch nicht. Das sind Momente, in denen man zufrieden auf das Gesamtpaket schauen kann. Geht auch nicht immer, zugegeben, aber wenn man sich ein wenig bemüht, kann man durchaus einige gute Dinge finden. Den Blickwinkel zu verändern heißt auch, sich selbst eine neue Richtung geben und zu verstehen, dass man so gut ist, wie es ist. 

Aushalten muss man es aber können ... 

Manchmal ist Demut verbunden mit dem Aushalten. Das muss man können, Aushalten ist auch Demut üben. Es ist der Moment der Erkenntnis, dass es schlimmer hätte kommen können. Und der Blick ist nicht einfach. Er widerlegt die Jammertheorie und lenkt die Perspektive klar dorthin, wo die Wahrheit ist. 

Die, die einem verständnisvoll zu nickt und sagt, dass es grad nicht einfach ist. Aber auch, dass es schlimmer kommen könnte. Egal ob aus Sicht der Erkrankung aber auch, in diesen Tagen wichtiger für viele, aus Sicht der heimischen Situation. Warmes Haus und voller Kühlschrank sag ich nur. 

In Zeiten wie diesen ist es diese Mischung aus Demut, Dankbarkeit und der daraus resultierenden Zufriedenheit, die helfen kann, die Perspektive richtig auszubalancieren. Das bedeutet nicht, dass es untersagt ist über die Missstände oder Lücken im System reden und drauf aufmerksam zu machen. Im Gegenteil, ist was nicht im Lot, müssen wir das benennen. Aber bitte im richtigen Moment, aus der richtigen Perspektive und mit Fakten. Weil die Jammertaltheorie mit Augenpipi dann nur die klare Sicht auf das verdeckt, was Fakt ist. Und angebracht. Eben die Sicht auf Möglichkeiten und Wege. Lösungen. Und das muss man aushalten, weil das auch Arbeit ist. Mühe bedeutet und uns etwas abverlangt. Andererseits kommen wir damit ans Ziel, während andere festkleben. 

Diese gesunde Dosis Demut ist es, die uns erdet, etwas zeigt und vielleicht auch beibringt, dass nicht immer alles perfekt, aber trotzdem gut ist. Diese kleine Kraft, die uns lehrt einen Moment zu verweilen, um Luft zu holen, Anlauf zu nehmen und die uns dann das Recht gibt, den Mut aufzubringen, dem Fräulein Trulla einen saftigen Tritt in den Allerwertesten zu verpassen, den Neidern zu sagen, dass wir uns darüber freuen, wenn sie neidisch sind, weil man sich Neid verdienen muss und den Mut zu haben für die eigenen Rechte einzustehen und sich das Leben zu gestalten, das einen glücklich macht. Und zufrieden. Und dankbar. Und eben auch demütig. Damit wir in Balance bleiben. 

Unsere Aufgabe ist es, bei uns zu bleiben und unser Leben zu leben, zu lachen, zu wackeln und daran zu arbeiten, dass man es nicht mehr tut und sich darüber zu freuen, was einem das Leben trotzdem auch schenkt. Weil es auch im Schub gute Momente gibt, die man lieber beachten sollte, weil sie die Basis für die nächsten guten und vielleicht auch längeren Phasen sind. Abgesehen davon, dass sie der Grundeinstellung gut tun und das leidend schauende Rehlein in den Wald zurück scheuchen, wo es hin gehört. 

Birgit 


Text: Birgit Bauer / Manufaktur für Antworten UG 

Bilder: Pixabay.com 

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